Radikalfeministisch – eine Serie. Die erste Vorarbeiten.

Aus den braven Müttern, die schüchtern bei der Gemeinde anfragen, ob es denn nicht möglich wäre, wenigstens für den halben Tag eine Kinderbetreuung einzurichten, sind wieder wütende Gesellschaftskritikerinnen geworden, die den ganzen Laden abreißen wollen. Zumindest nehme ich das in meinem Umfeld so wahr. Frauen, die mir vor 10 Jahre noch erzählten, Gleichberechtigung wäre doch hergestellt, erklären mir nun die strukturellen Hintergründe des Gender Pay Gap und warum Allein erziehend sein das wichtigste Armutsrisiko in Deutschland ist. Die Pionier*innen der #MeToo-Bewegung, die seit den 1970er erstmals wieder offen darüber sprechen, dass misogyne und sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Jugendliche, Kinder und überhaupt gegen margialisierte Gruppen immer noch die normalste Sache der Welt ist, um das Patriarchat, die Herrschaft der alten (weißen) Männer, stabil zu halten, haben vielen Betroffenen die Münder geöffnet, auch laut und deutlich über ihre alltäglichen Belästigungs- und Verachtungserfahrungen zu sprechen. Und manche haben sogar den Mut gefunden, sie auch anzuzeigen. Im vollen Bewusstsein, was für eine neue Welle misogynen, bösartigen Mülls wieder auf sie ausgegossen werden wird.

Die Wut ist zurück, und damit ein Feminismus, der mehr will als Kita-Plätze – das freut mich.

Mich irritiert aber auch einiges in der aktuellen Debatte, vor allem der massive Gedächtnisverlust. Über den Zusammenhang von Heteronormativität, patriarchalen Machtstrukturen, sexualisierter Gewalt und bürgerlich-familial strukturierte Care-Arbeit war in den 1970ern schon ein Wissens- und Diskussionsstand erreicht, an den wir uns heute erst wieder heranarbeiten müssen. Die Radikalität, mit der feministisch engagierte Frauen auf die gesellschaftliche Verhältnisse blickten, hat sich, in meiner Wahrnehmung fast nur in radikalen LGBTQIA-und PoC-Szenen erhalten, – über die sich, genauso wie über die wenigen Frauen, die weiter offensiv feministisch aufgetreten sind, bösartigst lustig gemacht wurde (wenn sie überhaupt mal in der Mainstream-Öffentichkeit auftauchten. Und damit meine ich nicht die Steuerhinterzieherin und Bild-Kolumnistin Alice Schwarzer). Heute gelten Bücher als radikalfeministisch – und in der gegenwärtigen Situation sind sie es auch wohl –, die in den 80ern das Wahlprogramm der SPD gewesen wären. (Und heute manchmal auch noch ;).

Ich bin alt genug, um  noch von den Ausläufern der zweiten Welle der Frauenbewegung etwas mitbekommen zu haben: Ich erinnere mich an die Lektüre von Kate Millett, Andrea Dworkin, Luce Irigaray, Hélène Cixious und Mary Daly und ihren kompromisslosen Blickes auf die Gesellschaft, die Frauen zu Ficklöchern, Uteri und Care-Automaten degradiert. Mich hat damals nicht nur dieser Medusenblick fasziniert, der die Verhältnisse hinter der aufgeklärt-liberalen Phrase zur Kenntlichkeit entstellt, auch der offensive Unwillen zur Kooperation mit diesen Verhältnissen und die Radikalität, mit der diese Autorinnen und Aktivistinnen versuchten, geschlechtliche als gesellschaftliche Verhältnisse neu zu denken. Anstatt mich über die jüngeren Frauen zu amüsieren oder zu ärgern, die einfach das Pech hatten, ihre wichtigste intellektuelle und habituelle Sozialisationsphasen in den Dekaden der neoliberalen Verblödung (1985 bis 2010) erleben zu müssen, und für die Radikalität dann eben etwas anderes bedeutet als für ältere Feministinnen, will ich aus meiner Irritation etwas konstruktives machen: eine kleine, mehr oder weniger idiosynkratische Archäologie des Wilden Feministischen Denkens. Hier auf meinem Blog.

Einen wirklich methodisch oder gar historisch fundierten Plan gibt es nicht. Meine Idee ist einfach, dass ich mich durch einige der Klassikerinnen lese, noch einmal, bei einigen anderen bestimmt aber auch das erste Mal – und das ich mir auch mal die deutschsprachige Literatur anschaue (davon war nämlich auch schon in meinen 80ern erstaunlich wenig mehr die Rede). Und natürlich einen Blick auf die gerne als esoterisch oder sonstwie abseitig diffamierten Winkel des 70er & 80er-Jahre Feminsimus zu tun, wo man Horoskope erstellt, Karten legt und sich mit der Große Göttin verbindet.

Der erste Schritt dahin: Ich habe über meinen Twitter-Account nach Tipps gefragt – und sehr viel Feedback bekommen. Herzlichen Dank an alle, die mitgemacht haben. Hier kommt die Liste, die ich aus euren Tweets gemacht habe.

Sammlung Namen und Texte, die zum Stichwort „radikalfeministische Texte“ genannt wurden

Autorinnen / Protagonistinnen / Künstlerinnen:

Jessica Benjamin

Ilse Bindseil

Gisela Bock

Silvia Bovenschen

Gisela Breitling

Mary Daly / Erika Wisselink (Übersetzerin)

Hedwig Dohm

Barbara Duden

Andrea Dworkin

Silvia Federici

Elfriede Friedländer, Sexualethik des Kommunismus (1920)

Heide Göttner-Abendroth

Frigga Haug

Karin Hausen

Anita Heiliger

Elfriede Jelinek

Silvia Kontos

Ingrid Kurz-Scherf

Rosa Mayreder, Geschlecht und Kultur (1923)

Ulrike Meinhof, Falsches Bewusstsein

Anja Meulenbelt

Maria Mies

Kate Millett

Olga Misar, Neuen Liebesidealen entgegen (1919)

Margarete Mitscherlich

Irmtraud Mogner

Ulrike Oettinger

Cristina Perincoli

Heide Pfarr

Ulrike Prokop

Luise Pusch

Uta Ranke-Heinemann

Brigitte Reimann

Christa Reinig, Entmannung

Cillie Rentmeister

Eva Rieger: Frau, Musik und Männerherrschaft, 1986

Iris von Roten, Frauen im Laufgitter

Annette Runte

Helke Sander

Helma Sanders-Brahms

Luise Schottroff

Marianne Schuller

Heide Schlüpmann,

Joan W. Scott

Dorothee Sölle

Valerie Solanas, SCUM Manifesto

Inge Stephan

Helene Stöcker

Christina Thürmer-Rohr

Monika Treut

Gerburg Treusch-Dieter

Senta Trömel-Plötz

Maxie Wander

Sigrid Weigel

Claudia von Werlhof

Anke Wolf-Graaf

Hedi Wyss

Manifeste / Gruppen-Texte

Combahee River Collective

Manifesta di Rivolta Femminile

Grünes SOTTOSOPRA – mehr Frau als Mann

Lotta Feminista

„Frauen für Veränderung“ (Noch-DDR; Herbst 1989)

Fraueninitiative Leipzig (s.o.)

Lila Offensive

UFV

Rote Zora

Zeitschriften / periodisch erscheinende Literatur:

Beiträge zur Feministischen Theorie und Praxis

Die Schwarze Botin

Courage

Streit – Feministische Rechtszeitschrift

Schlangenbrut

Feministische Studien

Ariadne

Sammelbände / Dokumentationen / Überblicke:

Cristina Perincioli: Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er Bewegung blieb; Querverlag,

Brigitte Geiger & Hanna Hacker: Donauwalzer. Damenwahl. Frauenbewegte Zusammenhänge in Österreich; Edition Spuren Pro Media Verlag:

Astrid Deuber-Mankowsky, Ulrike Ramming, E. Walesca Tielsch (Hrsginnen.): 1789/1989 – Die Revolution hat nicht stattgefunden. Dokumentation des V. Symposions der Internationalen Assoziation von Philosophinnen; Edition Discord:

7 Kommentare zu „Radikalfeministisch – eine Serie. Die erste Vorarbeiten.

  1. Joy Press arbeitet übrigens an einem Buch zur den Radical Women New York – soll 2021 erscheinen. Das erzählte ihr Partner Simon Reynolds jüngst auf seiner Buch-Tour durch D,

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  2. Unbedingt empfehlenswert auch Klaus Theweleits radikalfeministische Texte, etwa sein Pocahontas-Komplex, aber auch „Männerphantasien“ über die misogyne Zurichtung und Herstellung des faschistischen Soldaten-Mannes.

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  3. Mir fällt da noch Marianne Wex ein, „Weibliche und „Männliche“ Körpersprache insbesondere ihre Fotos zum Punkt Manspreading.https://www.zitty.de/marianne-wexgalerie-tanya-leighton/ Immer noch aktuell.

    Elisabeth Beck-Gernsheim. Auch ihre Forderungen aus den 80ern können 1:1 in die heutige Zeit übertragen werden. Vereinbarkeit Familie/Erwerbstätigkeit

    Künstlerinnen z. B. Carolee Schneemann, Andrea Fraser, Cosey Fanni Tutti zur weiblichen Sexualität

    Da gibt es ziemlich viel.

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  4. Ich verstehe nicht wieso in dieser Welt immernoch gegen Schwarze und generell gegen Frauen geschossen wird und alle gleich mit Feminismus kommen… Gibt es den Menschen wirklich schon so lange ? Ich sehe nämlich keine Entwicklung in geistlicher Intelligenz gegenüber der eigenen Spezies 😩
    Guter Beitrag by the way! 🙂

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